Demokraten wollen Lösung
Ukraine Konflikt vor der Wahl
(17.09.2024) Wer, wen wählen wird, hängt auch von der außenpolitischen Strategie der beiden Lager ab! Daher könnte die US-Innenpolitik bei der Lösung des Ukraine-Kriegs ein entscheidender Faktor sein. Das "sollte man nicht unterschätzen", sagt Bundesheer-Experte Markus Reisner. Die US-Demokraten hätten nämlich Interesse, "jetzt, also noch vor der Wahl, eine Lösung für die Ukraine präsentieren zu können". Bei einem Kompromiss könnte herauskommen, dass Kiew für weitreichende Zugeständnisse, Sicherheitsgarantien, die geforderten Langstreckenwaffen und deren Einsatzerlaubnis erhält.
Derzeit stehen die USA bei der Lieferung von eigenen JASSM-Marschflugkörpern, die tief ins russische Gebiet treffen könnten, auf der Bremse. Auch die Briten, die eine solche Lieferung der eigenen Marschflugkörper vom Typ STORM SHADOW und SCALP befürworteten, seien nun zurückgerudert, zitierte Reisner heute bei einem vom Forum Journalismus und Medien (fjum) organisierten Pressegespräch in Wien aus der "Times". Demnach würde Großbritannien keinen Alleingang bei weitreichenden Waffen machen, auch weil dafür die Unterstützung durch US-Satellitensysteme erforderlich wäre.
Die Ukraine fordert vom Westen weitreichende ballistische Raketen und Marschflugkörper sowie die Erlaubnis, auch Ziele in Russland angreifen zu können. "Diesen Krieg kann man gerecht nur aus einer Position der Stärke beenden", hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt. Andernfalls würde es zu einem von Moskau definierten "Diktatfrieden" kommen. Langstreckenwaffensysteme könnten "kurzzeitig einen Unterschied machen", meint Reisner. Allerdings wird diese weitreichende Entscheidung ausgewählter Staaten von den Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin beeinflusst.
Eine Zustimmung des Westens zum Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele in Russland würde nach Ansicht Putins bedeuten, dass sich die NATO "im Krieg" mit Russland befände. "Dies würde die Natur des Konflikts in erheblichem Maß verändern. Es würde bedeuten, dass NATO-Staaten im Krieg mit Russland sind", hatte Putin erklärt.
"Russland ist nuklear bewaffnet, das kann man nicht vom Tisch wischen", betont Reisner. Dabei müsse gar nicht sein, dass Russland eine Atomwaffe auf ukrainischem Gebiet einsetze. Schon allein die Zündung einer nuklearbestückten Rakete über dem Schwarzen Meer würde zur Abschreckung dienen, skizziert Reisner. Bereits einmal habe sich die Situation zugespitzt. Nämlich als die Ukrainer im Herbst 2022 Cherson zurückeroberten und rund 40.000 russische Soldaten vor der Einkesselung standen, habe es nach US-Geheimdienstinformationen bereits Vorbereitungen für einen Atomschlag gegeben. Unter Vermittlung von China und Indien sei dann aber ein Deal erreicht und die russischen Truppen abgezogen worden. Die entscheidende Frage sei, ob die USA und der Westen den russischen Drohungen entschlossen entgegentreten oder eben nicht.
Wie könnte also eine Kompromisslösung vor den US-Wahlen aussehen? Selenskyj will demnächst seinen "Siegesplan" US-Präsident Joe Biden vorstellen. Während Selenskyj "immer mehr Kompromissbereitschaft" zeige, hätte Russland derzeit kein Interesse an einem Entgegenkommen, weil es sich "auf der Siegerstraße" sehe. Um die russische Vormacht zu brechen, bräuchte die Ukraine wesentlich mehr an Ausrüstung und Unterstützung aus dem Westen, betont Reisner. Für eine Abwehr der derzeitigen russischen Offensive etwa seien an die 300 Abrams-Kampfpanzer notwendig und nicht nur die 31 gelieferten. "Die Ukraine bekommt so viel, dass sie weiterkämpfen kann, aber nicht so viel, dass sie siegen kann." Möchte die Ukraine 2025 wieder offensiv werden, bräuchte sie tausende neue Kampffahrzeuge. An den diplomatischen Verhandlungen und festgefahrenen Angeboten hat sich seit Juni nichts mehr bewegt.
Angesprochen auf die russischen Minimalforderungen bei allfälligen Verhandlungen verwies der Experte auf den im Hintergrund immer wieder zitierten chinesischen Ansatz. Dieser Plan sieht eine Teilung der Ukraine entlang des Dnipro (russisch: Dnepr) vor, der östliche Teil würde zur "demilitarisierten Zone". Es sei ein Ansatz, der an die Situation in Korea erinnert. Russland will außerdem zumindest einen Landweg bis zur abtrünnigen moldauischen Region Transnistrien. Reisner könnte sich im Gegenzug vorstellen, dass der Westukraine dafür ein Beitritt zur NATO ermöglicht würde. Auch wenn er gegenüber der APA einräumt, dass diese Ideen im Moment "reine Spekulation" seien.
Bodenschätze im Osten
So einfach ist die Lösung freilich nicht. Für die Ukraine wäre es schwierig, auf den Osten des Landes zu verzichten - schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Die Getreidewirtschaft und die Bodenschätze des Landes sind großteils dort beheimatet. Zudem würde ein solcher Kompromiss von Ländern des globalen Südens und vor allem von den Unterstützern des Kreml - China, Iran und Nordkorea - als Sieg Russlands interpretiert. "Wenn Russland gewinnt, macht es Schule, dass man sich mit Gewalt ein Land in Besitz nehmen kann", warnte Reisner. Und dies möchte der Westen unbedingt vermeiden.
(fd/apa)