Bauernproteste in Brüssel
Ausnahmezustand!
(01.02.2024) Die Videos sprechen eine deutliche Sprache. Die Bauern sind sauer! Am Rande eines EU-Sondergipfels in Brüssel haben Landwirte teils gewaltsam gegen Umweltauflagen und ein Handelsabkommen protestiert. Wegen Aktionen um das Europaparlament war die Institution teilweise abgeriegelt worden. Vor den Gebäuden wurden Gegenstände in Brand gesetzt, die Polizei schützte den Haupteingang mit Stacheldraht und Einheiten in Schutzmontur, wie am Donnerstag auf Fotos zu sehen war. Das EU-Gipfelgebäude war weiträumig abgeschirmt worden.
An den Protesten in Brüssel beteiligten sich am Donnerstag Landwirte mit rund 1.300 Traktoren, wie die Polizei mitteilte. In einigen Fällen sei es zu Auseinandersetzungen gekommen, wobei Gegenstände geworfen und Tränengas eingesetzt worden sei. Auf einem Video, das die Proteste zeigen soll, ist zu sehen, wie ein Brandsatz in Richtung Polizisten geschmissen wird. Eine Bestätigung der Polizei, ob das Video authentisch ist, gab es zunächst nicht. Der Brüsseler Nahverkehrsbetreiber teilte auf X, ehemals Twitter, mit, dass mehrere Buslinien wegen der Proteste gestört seien.
Auf einem Traktor etwa war ein Transparent mit der Aufschrift "Wenn du die Erde liebst, unterstütze diejenigen, die sie bewirtschaften" zu sehen, auf einem anderen Transparent stand: "Keine Landwirte, keine Lebensmittel". Sicherheitskräfte in Schutzanzügen standen hinter Absperrungen vor dem EU-Sitz, wo die Staats- und Regierungschefs im Tagesverlauf über weitere Ukraine-Hilfen beraten. Obwohl die Bauern-Proteste nicht offiziell auf der Tagesordnung des Gipfels stehen, dürften sie zumindest am Rande besprochen werden. Auch weil befürchtet wird, dass sie im Vorfeld der Wahlen zum EU-Parlament im Juni rechten Parteien Zulauf verschaffen könnten.
Wegen der Proteste vor dem Parlament wurden Mitarbeitende von der Verwaltung zur Vorsicht gebeten. "Es wird dringend empfohlen, sich den Demonstrationen nicht zu nähern und keine Fotos zu machen." Einige Eingänge seien geschlossen, damit Demonstranten nicht in das Gebäude eindringen könnten. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte: "Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, denjenigen, die protestieren, die Schuld zu geben, sondern vielmehr sagen, dass wir Ihnen zuhören." Als Parlament sei man der Meinung, dass die Stimme von niemandem ignoriert werden sollte.
EU-Spitzenpolitiker kommentierten die Proteste unterschiedlich. Während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán auf X (Twitter) ein Video verbreitete, das ihn im Kreise der Protestierenden zeigte und sie als "Stimme des Volkes" bezeichnete, für die er "aufstehen" werde, äußerte sich der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas besorgt über die Ausschreitungen vor dem Europaparlament. "Die Anliegen der Landwirte sind verständlich, die Form des Protests überschreitet aber eine Linie. Wir sind ein Haus des Kompromisses und Dialoges. Es braucht eine inhaltliche Lösung - ohne Gewalt", schrieb Karas auf X unter ein Foto, das ein umgestürztes Denkmal vor dem EU-Gebäude zeigte.
Die EU-Chefs signalisierten Verständnis für die Anliegen der Landwirte. Belgiens Ministerpräsiden Alexander de Croo begrüßte, dass die EU-Kommission jüngst Ausnahmen von Umweltauflagen verlängert hat. "Besser wäre, das nicht nur für ein Jahr zu verlängern", sagte er. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar forderte, dass die EU solle in den kommenden Jahren darauf verzichten, neue Auflagen zu erlassen. Er schloss sich auch dem französischen Widerstand gegen das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten an. Mercosur kann in der jetzigen Form nicht ratifiziert werden", sagte Varadkar. Verärgert sind auch osteuropäische Bauern, die Preisdruck infolge der Aussetzung von Einfuhrzöllen auf Lieferungen aus der Ukraine beklagen. Auch hier will die EU-Kommission mit Mengenbeschränkungen nachbessern.
Zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Landwirten am Donnerstag weniger Bürokratie in Aussicht. Sie wolle den Mitgliedsländern in Kürze einen Vorschlag machen, "um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren". Von der Leyen verwies zugleich auf den "strategischen Dialog" ihrer Kommission, der Bauern- und Umweltverbände sowie die Lebensmittelindustrie an einen Tisch bringen soll. Die Ergebnisse könnten in die nächste Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) einfließen, die für 2028 geplant ist.
(fd/apa)