Das Trauma der USA
30 Jahre Waco
(19.04.2023) Wie der Vietnamkrieg gehört Waco sicher auch zu den traumatischsten Erlebnissen der amerikanischen Gesellschaft. Die Bilder des Flammeninfernos gingen vor 30 Jahren um die Welt. Am 19. April 1993 endete die 51-tägige Polizeibelagerung der Sekte Branch Davidians im US-Bundesstaat Texas in einem riesigen Feuer mit mindestens 75 Toten. Die Katastrophe erschütterte die USA, führte zu massiver Kritik an der Bundespolizei FBI und trug mit zum Aufstieg regierungsfeindlicher rechter Milizen bei.
Erst vor wenigen Wochen hielt Ex-Präsident Donald Trump einen Wahlkampfauftritt in Waco ab - für Kritiker ein Signal an seine radikalsten Unterstützer. Das Unheil hatte am Morgen des 28. Februar 1993 seinen Lauf genommen. Agenten der US-Waffenbehörde ATF wollten das unweit von Waco gelegene Anwesen Mount Carmel stürmen, in dem der charismatische Endzeit-Sektenführer David Koresh mit zahlreichen Anhängern lebte und ein riesiges Waffenarsenal gehortet hatte. Die Davidianer hatten von der Razzia wegen mutmaßlicher Waffenrechtsverstöße aber Wind bekommen und waren vorbereitet. Bei Ankunft der Polizei brach ein heftiges Feuergefecht aus, vier Polizisten und sechs Davidianer starben im Kugelhagel.
Es folgte eine 51-tägige Belagerung, die die USA in Atem hielt. FBI-Experten versuchten den durch Schüsse verletzten Koresh und seine Anhänger zur Aufgabe zu bewegen, zumal in Mount Carmel zahlreiche Kinder lebten. Koreshs Mutter engagierte damals den Anwalt Dick DeGuerin, der das Sektenanwesen betreten konnte. "Ich hatte mit einigen großen Fällen zu tun gehabt, aber nichts war damit vergleichbar", erinnert sich der 82-Jährige heute. "Die Welt hat zugeschaut." Sein Ziel sei es gewesen, Koresh aus dem Anwesen und vor Gericht zu bekommen, ohne dass es weitere Tote gibt.
Die Verhandlungen zwischen der Sekte und den Einsatzkräften zogen sich aber - und das FBI entschloss sich schließlich zu einem brachialen Vorgehen: Die Polizei rammte am 19. April mit Panzerfahrzeugen Löcher in die Außenwände des Anwesens und leitete Tränengas ein, um die Sektenmitglieder aus dem Gebäudekomplex zu treiben. Während des Einsatzes brach dann der Großbrand aus, dem dutzende Menschen zum Opfer fielen.
Das US-Justizministerium schrieb Monate später in einem Bericht, in dem Anwesen seien an dem Tag 75 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen 25 Kinder unter 15 Jahren. Andere Quellen sprechen von 76 Toten. Nur neun Sektenmitglieder überlebten die Katastrophe an diesem Tag. Während es Vorwürfe gab, das Feuer könnte durch den Tränengaseinsatz der Polizei ausgelöst worden seien, kam ein Sonderermittler im Juli 2000 zu dem Schluss, der Brand sei durch die Sektenmitglieder selbst gelegt worden. In dem Untersuchungsbericht wird auch betont, die Polizei habe am 19. April 1993 keine Schusswaffen abgefeuert.
Waco bleibt trotzdem bis heute in rechten Kreisen ein Symbol für eine Überreaktion und einen Machtmissbrauch der US-Regierung gegen die eigenen Bürger. Der massive Polizeieinsatz wurde sogar als Begründung für einen der schlimmsten Terroranschläge der US-Geschichte genannt: Am zweiten Jahrestag von Waco wurden bei einem von dem Golfkriegsveteranen Timothy McVeigh verübten Bombenanschlag auf ein Behördengebäude in Oklahoma City 168 Menschen getötet. McVeigh, der Waco während der Belagerung besucht hatte, nannte den Polizeieinsatz gegen die Davidianer später als einen der Gründe für seinen Anschlag. Grundsätzlich gab Waco Experten zufolge bewaffneten rechten Milizen Auftrieb, die die Regierung in Washington als tyrannische Bedrohung für die Freiheitsrechte der Bürger ansehen.
Trump Veranstaltung bedenklich
Deswegen sorgte es für Stirnrunzeln, als Ex-Präsident Trump im März rund um den 30. Jahrestag von Waco - und kurz vor der sich abzeichnenden Anklage gegen ihn in einer Schweigegeldaffäre - ausgerechnet in der texanischen Stadt eine Wahlkampfveranstaltung abhielt. Kritiker warfen dem Rechtspopulisten vor, ein Signal an rechtsradikale Unterstützer in den Reihen seiner Anhängerschaft auszusenden.
"Waco: Amerikanische Apokalypse" auf Netflix
Rund um den 30. Jahrestag befassen sich auch mehrere US-Serien mit Waco und den Folgen. Darunter ist die Netflix-Doku "Waco: Amerikanische Apokalypse", die bisher unveröffentlichte Aufnahmen von der Arbeit der FBI-Verhandlungsspezialisten zeigt.
(fd/apa)