Luxemburg: große digitale Challenges
(01.11.2017) In Luxemburg treffen völlig konträre (digitale) Welten aufeinander. Mitten in der Hauptstadt des Landes lenkt der größte Online-Händler der Welt, Amazon, seine Geschicke in ganz Europa und versucht, durch ausgeklügelte Taktiken möglichst viel Geld ins Trockene zu bringen. Die EU nennt das zum Teil bewusste Steuervermeidung. Nur wenige Kilometer entfernt kümmert sich der europäische Gerichtshof in letzter Instanz genau um solche Fälle … aber nicht nur das: Seit Aufkommen der Digitalisierung hat der EuGH über grundlegende Regeln im Netz zu entscheiden. Ein Beitrag über Luxemburgs Rechtsschützer und -Brecher der Digitalisierung, entstanden im Rahmen von eurotours 2017, einem Projekt des Bundespressedienst, finanziert aus Bundesmitteln.
Man kann sich kaum einen schlechteren Büro-Standort aussuchen. Direkt am malerischen Fluss Alzette in Luxemburg hat Amazon seinen europäischen Hauptsitz. Das Gebäude ist erst 2012 eröffnet worden: Ein Blick durch die verdunkelten Fenster zeigt, typisch für US-Firmen, einen super-modernen Open-Space mit Designer-Möbeln und großen, so genannten Recreation-Areas. Von hier aus lenken und steuern rund 1.500 Mitarbeiter alle Aktivitäten des Online-Versandhändlers in Europa.
Aber Moment: Die Adresse stimmt nicht mit jener auf der Rechnung meiner letzten Amazon Bestellung überein. Tatsächlich gefällt es dem US-Unternehmen in Luxemburg so gut, dass man stark expandiert und mittlerweile drei Büros in der Stadt betriebt – das älteste ist ein kleines, vierstöckiges Haus in der Altstadt mit gelbem Anstrich und Gusseisen-Laternen an der Fassade – der offizielle Sitz von Amazon Europe, wo mittlerweile die Personalabteilung untergebracht sein soll.
Als man hier 2004 seine Zelte aufgestellt hat, haben – wörtlich – steuerliche Aspekte bei der Standortwahl sicher auch eine Rolle gespielt, gibt das Unternehmen zu. Interview wollte man mir keines geben, man erklärt mir aber, immer getreu den Gesetzen gehandelt, dabei aber auch nichts ausgelassen zu haben. Das sieht die EU-Kommission anders: In einem Urteil hat sie Amazon zur Steuernachzahlung von 250 Millionen Euro verdonnert. Das damals von Luxemburg abgesegnete Konstrukt, wonach Amazon EU bis ins Jahr 2014 einer Holding, ebenfalls in Luxemburg, hohe Lizenzgebühren gezahlt hat um den eigenen Gewinn gering zu halten, sei fernab jeglicher wirtschaftlichen Realität gewesen, heißt es.
Um große Internet-Unternehmen mit solchen Konstrukten trotzdem dranzukriegen, diskutieren die EU-Finanziminister derzeit über eine so genannte Digitalsteuer. Leicht hat man es aber nicht, denn auch die Regierungen der sogenannten Steueroasen wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Auch die Luxemburgische Regierung wollte mir kein Interview geben. In einem offiziellen Statement bestreitet der Finanzminister aber, Amazon unerlaubte Staatsbeihilfe gewährt zu haben und erwägt eine Klage gegen die Entscheidung der Kommission.
Der Fall könnte also - genau wie jener von Apple, das laut Kommission gleich 13 Milliarden Euro Steuern zurückzahlen muss - letztlich vor dem europäischen Gerichtshof landen, der zufälligerweise seinen Sitz ebenfalls in Luxemburg hat. Die österreichische EuGH Richterin Maria Berger:
"Die Kommission hat bei uns jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland eröffnet, weil es die Rückzahlungen nicht aktiv einfordert. Falls der Gerichtshof nun feststellt, dass Irland dies hätte tun müssen, dann kann die Kommission in einem weiteren Schritt ein Zwangs- oder Bußgeld beantragen und das tut den Staaten dann schon weh."
Doch das oberste EU-Gericht muss sich mit weit mehr Problemen der Digitalisierung herumschlagen als nur zahlungsunwilligen Online-Unternehmen, so Berger:
"Mit Fragen des Persönlichkeitsschutzes, wenn zum Beispiel jemand durch Internet-Seiten in seinen persönlichen Rechten verletzt wird. Dabei haben wir sehr häufig zu klären, die Gerichten welchen Mitgliedsstaates zuständig sind. Komplexere Fragestellungen finden sich im Bereich des Urheberrechts, weil mit den neuen Medien der Schutz der Autorenrechte sehr schnell umgangen werden kann."
In Sachen Urheberrecht gab es zum Beispiel diese folgenreichen Entscheidungen:
Tobias Mc Fadden gegen Sony Music Germany
Das Plattenlabel hatte den Betreiber eines Licht- und Tontechnik-Ladens geklagt, weil über sein ungesichertes WLAN-Netzwerk ein geschützter Musiktitel verbreitet wurde. Das EuGH-Urteil:
Der Betreiber eines öffentlichen WiFi-Netzwerks ist nicht für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer verantwortlich. Wohl aber kann in so einem Fall vom Betreiber verlangt werden, sein Netzwerk durch ein Passwort zu schützen. Ein Grund, warum heute für die meisten öffentlichen WLAN-Hotspots eine Anmeldung oder zumindest die Zustimmung zu AGBs erforderlich ist.
Constantin Film und Wega Filmproduktion gegen UPC Telekabel Wien
Der Internetanbieter wurde aufgefordert, die Website kino.to zu blockieren, weil darüber urheberrechtlich geschützte Filme angesehen und heruntergeladen werden konnten. Der EuGH hat entschieden: Interprovider können durchaus gezwungen werden, solche Seiten für ihre Kunden zu sperren. Sie können aber nicht belangt werden, wenn es dann trotzdem zu einer Urheberrechtsverletzung kommt.
Mittlerweile hat übrigens auch A1 sicherheitshalber mehrere illegale Streaming-Seiten blockiert.
Doch auch in Sachen Datenschutz hat der EuGH einige weitreichende Urteile gefällt, so etwa in der Rechtssache:
Mario Costeja Gonzalez gegen Google
Gonzales hatte vom Suchmaschinenbetreiber die Löschung von Links zu Artikeln gefordert, die über die Pfändung seines Hauses vor rund zehn Jahren berichtet hatten. Das Urteil: Eine Person kann von einem Unternehmen verlangen, ihre personenbezogenen Daten zu löschen, speziell wenn dadurch ihre Privatsphäre verletzt wird.
"Google hat dabei behauptet, gar nicht unter das europäische Recht zu fallen. Wir haben aber dann festgestellt, dass es das Subunternehmen Google Spain gibt, das dort für Google Einschaltungen anwirbt und deshalb fällt es ganz eindeutig unter Unionsrecht. Google hat das bezweifelt, aber wir haben entschieden, dass es hier keinen rechtsfreien Raum gibt.", so EuGH-Richterin Maria Berger. Dieses Recht auf „Vergessenwerden“ wird großer Bestandteil der neuen EU-Datenschutzrichtlinie, die mit Mai 2018 in Kraft treten soll.
Und auch bei Datenschutzschutzfragen spielen mehrere Österreicher eine große Rolle: 2014 führt eine Klage, unter anderem von Christof Tschohl, Michael Seitlinger und der Kärntner Landesregierung dazu, dass der EuGH der erst 2006 beschlossenen, aber sehr umstrittenen Vorratsdatenspeicherung einen großen Riegel vorschiebt.
2015 wird das Datenschutzabkommen „Safe-Harbor“ zwischen der EU und den USA aufgrund einer Klage des Wieners Max Schrems gekippt.
Der geht aktuell sogar mit zwei unterschiedlichen Verfahren vor dem EuGH dagegen vor, wie Facebook mit unseren Daten umgeht. Schrems:
"Facebook wird das Verfahren sicher verlieren, aber es wird wohl 10 Jahre brauchen, bis da wirklich etwas durchsetzbar wird. Wenn wir vor dem EuGH ein drittes Mal gewinnen, dann werden ganz wichtige Rechtsfragen für die Union geklärt. Wichtig ist, dass wir ein Case Law generieren, das in den nächsten 30 oder 40 Jahren definiert, wie weit der Datenschutz geht. Man muss sich aber klar sein, dass Facebook nicht morgen aufhören wird, Daten zu schicken."